1. Definition
2. Ursachen
2.1.
Individualpsychologische Ursachen
2.2.
Individualpsychologische Ausformungen
2.3.
Gesellschaftlicher Konttext
3. Charakteristika
4.
Im Diskurs mit Fundamentalisten
5. Anmerkungen
Als Fundamentalismus im engeren Sinn bezeichne ich das einseitig und oft inadäquat, dafür aber sehr fein ausdifferenzierte Gedankengebäude zu einem gesellschaftspolitisch relevanten Thema. Im weiteren Sinn gehören zum Fundamentalismus auch die entsprechenden gesellschaftlichen und psychologischen Wirkungen derartiger Ideen.
Die einseitige Betonung ansonsten durchaus zu respektierender Wahrheiten oder psychologisch-gesellschaftlicher Mechanismen oder entsprechend inadäquate Bezüge können mehrere Wurzeln haben.
2.1. Individualpsychologische Ursachen:
Am harmlosesten dürfte die schlichte Begeisterung für
die Erkenntnis bestimmter Zusammenhänge sein, die blind für
andere Fakten macht. Beispielhaft sei die Partei der Grünen in
ihren Anfangsjahren genannt, als sie - überspitzt formuliert und
bei aller Achtung für ihren derzeitigen Kurs - nur einen Punkt
in ihrem Parteiprogramm stehen hatte: AKW-nee!
Als
fundamentalistisch in einem negativen Sinn hätte das vor allem
dann gelten müssen, wenn sämtliche Fragen, auch solche, die
AKW's nur am Rande betreffen, allein von ihrer Bedeutung für die
AKW's her entschieden worden wären (was wohl nicht der Fall
war), ohne die Auswirkungen so einer Entscheidung in anderen
Bereichen zu berücksichtigen. Auch bei der örtlichen FDP
war es vor einiger Zeit gelegentlich zu beobachten, daß sie
nicht fragte: Was ist gut für die Stadt? sondern: Was für
eine Politik ist liberal?
Ein nach den Anschlägen vom 11.September 2001 vieldiskutiertes Phänomen ist die besondere „Anfälligkeit“ von Studenten technischer Studiengänge für den islamischen Fundamentalismus. Für meine Betrachtung ist zunächst uninteressant, daß geisteswissenschaftliche Studien im Westen von vielen Muslimen als Ketzerei oder doch zumindest als Verrat an der eigenen kulturellen Tradition empfunden werden.
Psychologisch betrachtet verlangen einseitige Lebensweisen nach einem Ausgleich. Der Techniker denkt nun besonders intensiv in sehr weitgehend determinierten Kategorieen. Seine Gedanken sind von daher gewissermaßen so unbestechlich wie die Naturgesetze. Die Psyche ist aber auf ein variables Gegenüber, eben auf einen menschlichen Partner eingerichtet. Bei einem Techniker liegen also gewisse psychische Fähigkeiten teilweise brach, die aber dennoch selbstverständlich intensiv benutzt werden wollen wie alle biologischen Triebe. Unser Techniker erlebt also ein „Drängen“, dem er kein Objekt seiner technisierten Umwelt als befriedigenden Ausgleich zuordnen kann. Auf der anderen Seite ist er es aber als Techniker strikt gewohnt, jeder Wirkung eine Ursache zuordnen zu können. Das sind zwei gute Vorraussetzungen, ein Gottesbild im Denken so eines Menschen besonders scharf hervortreten zu lassen, auf das dann die ansonsten nicht zuordbaren Gefühle gerichtet werden können. Eine intensive Frömmigkeit soll bei Technikern und Naturwissenschaftlern also nicht überraschen.
Bedenklich wird die Verbindung von Frömmigkeit und objektiv-technischer Denkweise aber erst dann, wenn die religiösen Ideen mit denselben starren Regeln kategorisiert werden wie technische und naturwissenschaftliche Formeln. Solche Dogmatistiker verlieren leicht das Gespür für die Grenzen der Gültigkeit gewisser Regeln der Religion und leben dann mehr für den Buchstaben ihrer religiösen Lehre. Zum Mißbrauch der Religion ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
Zum Dogmatismus neigen auch Menschen, die ihre Lebensideale nicht gründlich reflektiert haben und anders gegen Infragestellungen nicht in Schutz nehmen können. Dieser Form des Dogmatismus liegt geistige Trägheit und/oder (im Gegensatz zu Techniker oben) mangelnde Intelligenz zugrunde. Mir persönlich sind Fundamentalisten dieser Art am häufigsten begegnet.
2.2. Individualpsychologische Ausformungen:
Die notwendige Abgrenzung kann leider auch aggressive Formen annehmen. Ein Beispiel wäre das apokryphe „Gebot“ des Bruderhasses Sirach 50,25f oder der abendländische Antisemitismus. Insbesondere bei Menschen, die sich ihrer Überzeugungen im Unterbewußtsein nicht so recht sicher sind, findet man auch die Tendenz, anderen Menschen die eigene Überzeugung aufzudrängen, um auf diese Weise der Auseinandersetzung mit verunsicherndem Gedankengut entgehen zu können. Richtig schlimm wird es, wenn Aggression in Gewalt mündet.
Ein Beispiel für die Projektion von Ängsten auf jemand anderes sei hier angeführt, auch wenn es nicht immer zum Fundamentalismus im obigen Sinn zu rechnen ist. Ich denke an die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit. Hexen sah man insbesondere in den ungebildeten Bevölkerungsschichten als Ursache aller möglichen Dinge an, die angsteinflößend waren. Ihnen wurden Mißernten und Pestepidemieen in die Schuhe geschoben, und in den Hexenverfolgungen suchte sich das Gefühl der Ohnmacht diesen Schicksalsschlägen gegenüber ein Ventil. Fundamentalistisch motiviert im obigen Sinn waren die Hexenverfolgungen allerdings nur zu einem kleineren Teil, wo sie sich etwa auf den Hexenhammer des Dominikaners Heinrich Kramer stützten.
Weit verbreitet sind auch Projektionen eigener Sehnsüchte auf den Gegner, deren Erfüllung man sich etwa aus religiösen Gründen versagt. Da wird der Andersgläubige unversehens zum Lüstling, skrupellosen Egoisten, zum Menschenfresser und zum Verehrer des Bösen, kurz: zu jemandem, der alle ethischen Maßstäbe sprengt und der darum zu bekämpfen ist. Da die Vorwürfe objektiv allzuoft unbegründet sind, wird klar, daß der „Kampf“ gegen den Andersgläubigen psychologisch nur der Reinhaltung der eigenen Psyche von besagten Versuchungen dient. Versuchungen, die man sich natürlich nicht eingestehen will und darum nur auf der projezierten Ebene bekämpfen kann. Beispielweise nenne ich die verzerrte Darstellung der Gnostiker durch die Kirchenväter.
2.3. Die zwar ausdifferenzierten, aber oft nicht ausgewogenen Antworten der Fundamentalisten werden in einem bestimmten, durch Halbbildung geprägten gesellschaftlichen Kontext „fruchtbar“:
Für Heilsversprechungen jeder Art sind selbstverständlich alle gescheiterten oder in Not befindlichen Existenzen ein Stück weit empfänglich, auch wenn ich Armut nicht für einen ausschlaggebenden Faktor in der Genese fundamentalistischer Strukturen halte. Unter den Armen finden sich wohl eher Mitläufer.
In gewissem Sinn halbgebildet sind auch frustrierte gesellschaftliche Eliten, denen man - etwa aufgrund autokratischer Führungsmethoden - kreative Mitgestaltungsmöglichkeiten versagt und die darum ihrer Kreativität notgedrungen in anderen Bereichen freien Lauf geben, in denen sie weniger kompetent sind als in ihrem Fachbereich. Auf diese Weise wurden z.B. sehr grundlegende Reformen des politischen Systems in Algerien angedacht.
Was oben für die individuelle Identität gesagt wurde, gilt natürlich auch für eine kollektive Identität. Die Überfremdung der islamischen Kultur durch westliche Einflüsse wird jedenfalls gelegentlich für das Erstarken des Islamismus verantwortlich gemacht. Kollektive Demütigungen, wie die permanente militärische Schwäche der arabischen Staaten im Kampf gegen Israel und vor allem die Tatsache, daß die Araber mit der Gründung des Staates Israel einfach übergangen worden sind, trugen das ihre zur Radikalisierung bei.
Fanatismus
Scheuklappen und
Scheinargumente
kompromißunfähig
Unsicherheit
die
Tendenz, anderen Menschen die eigenen Ansichten
aufzudrängen
Einseitigkeit
Halbbildung
intensiv, aber
nicht unbedingt gut
durchdacht
konsequent
Einsatzbereitschaft
Begeisterung
von
außen betrachtet unwissenschaftlich
Ein konstruktiver Diskurs ist aufgrund der verhärteten Positionen oft nicht möglich. Ziel eines Diskurses kann es von daher zunächst nur sein, überhaupt im Gespräch zu bleiben sowie das Handwerkszeug zu vermitteln, Unsicherheiten zu überwinden und Identitäten zu stärken; und erst dann vielleicht etwa doch noch vorhandene Fähigkeiten zu entwickeln, Dinge aus verchiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Auf Widersprüche hinzuweisen, auch wenn sie einem Außenstehenden klar und eindeutig vermittelbar erscheinen, endet dagegen oft nur in Abschottung.
Vorbeugend ist - in unserem Land - geistes- und naturwissenschftliche Bildung zu vermitteln, am besten auch in einem wissenschaftlich fundiertem, religionskundlichen Unterricht, der auch erkenntnistheoretische Verfahren streifen sollte. (Konfessioneller Religionsunterricht gehört mE dagegen besser in die Hände der Glaubensgemeinschaften.)
Auf der internationalen Ebene muß es vor allem darum gehen, dem Vorwurf des Kulturimperialismus nicht unnötig neue Nahrung zu geben.
Interessante Bücher, die ich weiterempfehle:
Hubert Schleichert: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne
den Verstand zu verlieren, Anleitung zum subversiven Denken,
beck'sche Reihe
(Das Buch geht, leider etwas zu ausführlich,
auf fundamentalistische Argumentationsmuster ein)
Wolfgang Behringer (Hrsg.): Hexen und Hexenprozesse in
Deutschland, dtv
(viele zeitgeschichtliche Dokumente,
abschnittsweise jeweils mit einem einführenden Kapitel)
Werner Schiffauer: Die Gottesmänner, Türkische
Islamisten in Deutschland, suhrkamp taschenbuch
(eine Analyse der
inzwischen verbotenen Gemeinde Metin Kaplans)
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http://www.ulf-gerkan.de/fundi.htm
erstellt: 14.07.2003 letzte Änderung:16.07.2003